Der König war stolz auf die Verschanzung, die seine Truppen ausgehoben hatten. Nächtlich durch das Hügelland aus südlicher Richtung heranreitend hatten sie einen guten Blick auf auf die gesamte Anlage. Doch wie sollte man das übersehen? Im frühesten Morgengrauen glühten die Wälle noch rötlich, berührten den grauen Himmel mit ihrem rötlichen Glühen. Arthur kannte diese Bauweise einer Befestigung im Feld gut, und auch die, die den König begleiteten, nickten anerkennend. Man zieht eine rasche Konstruktion hoch, aus in mittleren Abständen im Boden versenken Palisaden und Querhölzern. Man füllt das Ganze mit Erde und großen Steinen und Stroh oder Schilf oder einem ähnlichen Material. Dann bringt man das Füllmaterial zum Entflammen. Wie in einem Ofen entstehen Temperaturen, die sogar die Steine dazu bringen, sich mit einer glasartige Schicht zu verbinden. Ein Geheimnis der Alten. Arthur stellte sich vor, wie das auflohende Feuer die Angreifer in Angst versetzt haben musste. Wie ein Ausbruch, vielleicht am vergangenen Abend, all ihre Kräfte noch einmal zurückschlug. Und das, wo es um die Truppen der Brythonen definitiv nicht gut stand, denn auch das konnte der König sehen. Zwar hielt man zu beiden Seiten der Barrikade die Hügel von Whiteleaved Oak und Readmarley besetzt und hatte die restlichen Truppen zwischen der Linie des sich von Süd nach Nord ziehenden Hügellands von Malvern und dem Fluss Wye im Rücken gesammelt. Doch war man schwer dezimiert und die Angreifer in der Überzahl. Aber was für eine Stellung. Was für eine Lage. Beinahe, als hätten sich beide Armeen entschlossen, sich genau hier zu schlagen und nirgends anders, um ein für allemal endlich die Entscheidung herbeizuführen.
“Nun”, wandte der König sich an sein Heer. “Dann wollen wir kämpfen.“
Im pulsierenden Schein des glühenden Walls warfen die beiden Belagerungsrampen, die träge, doch unweigerlich, heranrollten, diffuse Schatten auf die sie umringenden sächsischen Krieger. Der König hob den Arm. Bereithalten. Abwarten. Bis im Tal ein Horn schmettert. Bis die Belagerten einen Ausfall wagen. Dann fällt der Arm.
Die kleine Reiterei brach, die Flanke der Hügelkette herabfliegend, auf das Schlachtfeld, die Fußtruppen folgten.
Frontal trafen die ausbrechenden Belagerten auf die Sachsen. Auf der südlichen Flanke richteten Arthur und seine Mannen Verwüstung an.
Hatte der Könige Rom erreicht? Er war sich selbst nicht sicher. Er hatte eine große Stadt erreicht an einem Fluss, mit Bauwerken, die viel beeindruckender gewesen waren als alles, was er je mit eigenen Augen gesehen, und was nicht von Riesen oder Feenhand errichtet war. Und dabei zugleich so filigran. Er hatte Brücken gesehen, die einst Wasser getragen haben sollen, Arenen, mit Platz für viele tausend Menschen. Leider schien alles im Verfall begriffen, die größten Strukturen schon längst nicht mehr genutzt. Doch nachdem die kleine Schar so lang durch das fremde Land geirrt war, wo man kaum die Zunge der alten Latiner sprach, doch hier und dort etwas, das den brythonischen Zungen durchaus nicht unähnlich, war Arthur zufrieden gewesen, hier verwandte Seelen anzutreffen. Krieger, grobschlächtig, auch ein paar Frauen darunter, die die Schlacht suchten, Menschen, die sich ganz schwach an eine größere Vergangenheit erinnerten, Schwerter und Speere, die bereit waren den großen Reden und den noch größeren Versprechungen des fremden Königs ihr Ohr zu leihen. Die Einheimischen hatten Rom „Lutetia“ genannt, doch Arthur hatte das nicht gekümmert. Und auf ihrem Zug nach der bretonischen Küsten hatten sie weitere Mitstreiter gesammelt und fürwahr, dachte der König nun, da rundum die Speere flogen, die Schwerter Funken schlugen und das Blut die heimatliche Erde tränkte: Diese Römer schlugen sich gut!
***
Das Schlachtglück wendet sich. Gawain, der wie ein Berserker kämpft, spürt es, bevor er es sieht, sieht es, bevor auch der Gegner es einsieht. Die beiden Rampen, vom Feind errichtet in der Überzeugung, alle Zeit der Welt zu haben, hatten den Wall nie erreicht. Das bedrohliche Heer der Schützen, das die Belagerer decken sollte, war ein leichtes Opfer der unerwarteten Kavallerie gewesen, die unter dem Banner des Königs die Sachsen in die Zange genommen hatte. Das von einem Flüstern zu einem Rufen zu einem allgemeinen Jubel anschwellende „der König! Es ist der König! Der König ist zurück!“, das durch die eigenen Reihen lief, hatte auch jenen neue Kräfte verliehen, die sich so lange nur auf dem Rückzug befunden. Auch Gawain hatte Mut geschöpft.
Nach mehreren Stunden des Schlachtens hat eine müde Sonne einen Weg durch die Wolken gefunden. Noch tief steht sie am Himmel und bescheint ein Feld, von dem man aus der großen Entfernung glauben könnte, es beheimate einen Tanz zum Bel Tine Fest. Doch die Tanzenden tanzen auf Leichen, sie tanzen zwischen Feuern, sie tanzen um ihr Leben, tanzen vielleicht gar vielmehr um ihren Tod.
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Die Situation sah für die Belagerten bereits wieder längst nicht mehr so gut aus, wie noch im Morgengrauen. Zwar hatte Gawain einige Ritter versammelt und den Versuch gewagt, nach dem Fluss Hafren durchzustoßen, wo der Feind seine Nachschubstellung hatte. Da aber waren gerade frische Soldaten angelangt, und man war ohne größere Mühen zurückgeschlagen worden. Und hier lag das Problem, das sich nicht lösen ließ: Im eigenen Land hatten die Brythonen ein Nachschubproblem. Die Sachsen dagegen konnten längst auf jederzeit frische Kräfte zählen. Neue Hundertschaften setzten über den Hafren. Schiffe legten an. Das Land Logres war schon nahezu ganz verloren, Cymru ausgeblutet, und was von einem kleinen südlichen Küstenstreifen zwischen Londinium und Cornwall noch kämpfen konnte, wird sich dem König angeschlossen haben. Mehr kommt nicht. Auch die wilden Kriegerinnen und Krieger unter dem Kommando der furchtlosen Brigid hatten längst nicht mehr die Schlagkraft, die sie anfänglich gegen die Sachsen gehabt. Hier hatte der König recht behalten. Kriegsbemalung, Bäder in Blut, die Statur eines Riesen und die Behaarung eines Waldschrat – Wenn der erste Schrecken verflogen ist, versteht der Feind leicht, dass die nackte Brust einem Schwert weniger Widerstand leistet als ein Harnisch. Brigid selbst aber war unerschütterlich geblieben, weiterhin nahm sie es leicht mit zehn Gegnern gleichzeitig auf. Immer wieder hatte sie in den Morgenstunden sich an Gawain herangekämpft, ihn aus mancher brenzligen Lage befreit. Denn der Ritter war kaum weniger wagemutig, und hatte wie aus einem Todeswunsch jede Überzahl angenommen und sich siegreich geschlagen. Wenn die beiden Rücken an Rücken fochten, raunte die Hünin dem Ritter mysteriöse Worte zu: „Besteigt den Wagen. Besteigt doch endlich den Wagen.“ Gawain antwortete wieder und wieder: „Ein Mann von Ehre stellt sich nicht auf ein solches Teufelsgefährt.“
***
Sie werden zurückgedrängt. Diesmal scheint es hoffnungslos. Die Sachsen haben die Herrschaft über ihre linke Flanke zurückgewonnen. Auch die Krieger des Königs sind auf dem Rückzug, und im Moment ist es Gawain, als habe man nur die Wahl, sich vor der Befestigungen überrennen zu lassen, oder dahinter vielleicht noch ein oder zwei Tage auszuhalten und ohne Hoffnung mit anzusehen, wie die nächste, die vernichtende, Wälle vorrückt. Also bleibt man und kämpft. Man verliert, doch man bleibt und kämpft. Zwar – die Magierin Morgana hatte weitere Hilfen versprochen, doch davon war bisher nichts zu sehen gewesen. Vielleicht hatte die Hexe sich abgesetzt…
Plötzlich fällt Gawain aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf, auf dem hölzernen Turm, den sie bei Whiteleaved Oak befestigt haben. Dort erhebt sich eine Gestalt, die Arme ausgebreitet, steht, wie eine Statue, über das Schlachtfeld blickend, als könne kein Pfeil sie verwunden. Und von der Gestalt, die sich so selbstsicher erhoben hat, erhebt sich nun eine Stimme. Eine tragende, eine gewaltige Stimme, stark genug, sich über das gesamte Schlachtfeld zu breiten.
Talesien ist es, der alte Barde! Den seit dem Verschwinden Myrrdin Walts niemand mehr angetroffen hatte. Talesien ist es, der alte Bade, und er singt:
“…There was a calling on the Creator,
Upon Christ for causes,
Until when the Eternal
Should deliver those whom he had made.
The Lord answered them,
Through language and elements:
Take the forms of time prinncipal trees,
Arranging yourselves in battle array,
And restraining the public.
Inexperienced in battle hand to hand.
When the trees were enchanted,
In the expectation of not being trees,
The trees uttered their voices
From strings of harmony,
The disputes ceased…”
Hat also zumindest der Alte den Weg noch einmal zurück zu den Seinen gefunden, denkt Gawain. Vielleicht ist noch nicht alles verloren.
***
Ein Hain, seit undenklichen Zeiten nicht entweiht. Verflochtene Zweige umspielt trübe Luft. Kalte Schatten. Jeder Stein atmet Opfer hier, jeder Baum ist geheiligt mit Blut. Vögel fürchten sich, in diesen Zweigen zu sitzen, Wild fürchtet sich vor diesem Dickicht. Kein Windstoß geht durch diesen Wald. Von selbst bebt das Laub, obschon keine Brise es rührt. Doch weiß blüht der Verfall noch älterer, abgestorbener Hölzer in die Schwärze des Hains. Und aus einer weißen Quelle ergießt Wasser sich. Grobe Götterbilder in Stein, mehr die Idee eines Gottes als dessen Abbild, stehen rund um einen stillen Tümpel.
Und hier, inmitten der Götter, behütet im Schatten der Bäume, belebt vom Wasser der Quelle, hatten sich Männer und Frauen versammelt. Immer mehr waren es geworden, schon in den Abendstunden, als das Dunkel des Waldes vom Dunkel der äußeren Welt noch weiter verfinstert wurde. Noch mehr hatten den bewegten Reden der Frau gelauscht, die später bei der uralten Eiche sprach, als ein ganz klein wenig vom Licht des Mondes durchs Gezweig war auszumachen gewesen. Als sie aufgebrochen waren, mögen es ihrer schon hundert gewesen sein. Und sie gingen nicht allein. Der Wald ging mit ihnen! Eichen, Buchen, Linden, Fichten, Kiefern, sie alle rissen ihre Wurzeln aus der Erde und marschierten.
„The alder trees, the head of the line,
Formed the van.
The willows and quicken trees
Came late to the army.
Plum-trees, that are scarce,
Unlonged for of men
The elaborate medlar-trees
Tue objects of contention.
The prickly rose-bushes,
Against a host, of giants,
The raspberry brake did
What is better failed
For the security of life.
Privet and woodbine
And ivy on its front,
Like furze to the combat…“
Auf die gewaltigen Baumriesen stiegen die Männer und Frauen, und mit Schritten, die man nicht in Ellen maß, sondern in Baumlängen, stampften sie über das Land. Als der Abend einer langen Schlacht heranbrach, trauten Sachsen wie Briten ihren Augen nicht. Denn über die Hügelkette warf sich der Wald selbst in den Kampf. Und hoch oben stand der Barde und sang und sang und dirigierte das Geschehen. An der Seite des Turms, von dem der Barde sang, aber hatte die uralte Eiche sich eingefunden und ihre Wurzeln ins Erdreich gegraben. „Ich bin hier, mein Freund“, vernahm der Barde durch seinen Gesang. „Ich werde nicht kämpfen. Du weißt, ich werde nicht kämpfen. Doch ich bin hier in der schweren Stunde.“
Die Worte, die nur Talesien hörte, erfüllte ihn mit großem Glück und mit noch größerer Kraft schmetterte er sein Lied:
“The heath was victorious, keeping off on all sides.
The common people were charmed,
During time proceeding of the men.
The oak, quickly moving,
Before him, tremble heaven and earth.
A valiant door-keeper against an enenly,
his name is considered.
The blue-bells combined,
And caused a consternation.
In rejecting, were rejected,
Others, that were perforated.
Pear-trees, the best intruders
In time conflict of the plain.
A very wrathful wood,
The chestnut is bashful,
The opponent of happiness,
The jet has become black,
The mountain has become crooked,
The woods have become a kiln,
Existing formerly in the great seas
Since was heard the shout:–
The tops of the birch covered us with leaves,
And transformed us, and changed our faded state.”
***
Leider: Bäume sind nicht unsterblich. Wie viele Wälder hatte dieser Krieg schon gefällt, allein, dass Stellungen befestigt werden könnten, Dörfer gesichert. Wie viele fielen ganz ohne Krieg, als die großen Oppidien entstanden, die Hügelfestungen und später die Burgen, die Städte? Vor allem aber: Hat so ein Baum sich erstmal aus dem heimischen Erdreich gegraben, ist seine Lebensdauer sehr begrenzt. Schon am zweiten Morgen der Schlacht, seit der König zurückgekehrt war, schien das Licht der Morgensonne nicht nur auf mehrere gefällte Baumriesen inmitten der im Tode geeinten Körper der Brythonen und Sachsen. Sondern auch auf andere, die lagen hinter den Linien, verkümmert, verdurstet. Nur einige wenige wappneten sich noch einmal, als die dezimierte Reiterei sich gürtete, das Fußvolk seine Spieße aufnahm, um mit vereinter Kraft weiterzumachen, wo man am Vorabend aufgehört hatte, ermüdet von der verzweifelten, doch nicht nachlassenden Gegenwehr der Invasoren. Jene wenigen aber, die Ältesten der Ältesten, die gewaltigsten der gewaltigen, brachten erneut großes Verderben über den Feind. Doch wo gestern noch der Sieg nahe schien, war heute schon wieder kein Durchkommen. Erneut hatten die Sachsen ihre Truppen verstärkt, und die Schlacht wogte ziellos. Schwert spaltete Schädel, Lanze durchbohrte Lende, sirrender Pfeil Hals. Und einmal mehr zischte Brigid in einer Minute, da sie Seite an Seite fochten, Gawain zu: „Besteigt endlich den Wagen!“
Der aber dachte gar nicht daran. Stattdessen war es ihm gelungen, einige der stärksten Ritter der Runde um sich zu versammeln, und die führte er nach der nördlichen Flanke heraus aus dem Getümmel und einmal mehr durch lichtes Gehölz am Ufer des Hafren entlang auf die Stellungen der Sachsen zu. Die Ritter trugen Feuerstein und Öl bei sich, und Fackeln waren aus Lumpen und trockenen Ästen leicht bereitet. Schon hatte man die nördliche Palisade erreicht, mit der ohne äußerste Konsequenz der Hafen gesichert war. Das Feuer flog. Ehe der Feind überhaupt reagierte, brannte das erste Schiff. Ein weiteres ging in Flammen auf. Dann streckte ein Pfeil Agravain, ein weiterer Bredbeddle, und Gawains Stroßstrupp war zum Rückzug gezwungen. Doch der Schlag war geglückt. Bloß die Klage über den Verlust der guten Gefährten drückte die Freude über den Streich. Noch einmal sahen auf dem Feld die Brythonier sich von den lodernden Flammen beflügelt und schlugen zu mit doppelter Kraft. Links und Rechts vernichteten die drei verbliebenen Riesen des Waldes Hundertschaften von Feinden.
***
Am Nachmittag hatte sich die Waage weder nach der einen, noch nach der anderen Seite geneigt. Dunkle Wolken waren aufgezogen, ein kühler Wind hatte von Osten zu wehen begonnen. Was dann aber aus dem Hügelland südöstlich des Hafren heranrollte, schwarz und drohend, donnernd wie Gewitter, tosend, wie ein Sturm, war keine Wolke. Die Masse der in schwarzes Leder und altes korrodiertes Eisen gerüsteten Kämpfer, die dort herbeidrängten, war so groß, wie sie kein Krieger auf Seiten der Brythonen oder der Sachsen sich zuvor auch nur hätter vorstellen können. Für einen Moment blickten alle auf und jeder vergaß seinen Gegner. Seltsam stumm stürmten die frischen Soldaten, allein das Donnern ihrer Tritte erfüllte die Luft. Kein Kriegsgeschrei, nicht mal ein Stöhnen unter der Anstrengung. Äußersten Schrecken aber verbreitete der Anführer, ein Hühne zu Pferde, in einer Rüstung, deren dunkles Grau an die finsteren Wolken erinnerte, die das Schlachtfeld mittlerweile vollends bedeckten. Er schwang ein Schwert, das trotz der Wolkendecke in einem geheimen Licht zu glänzend schien. „Mordred“, ging das Raunen durch die Reihen der Brythonen. „Mordred“. Und: „Der Feind trägt des Lanzelot Schwert.“ „So ist es war Llywych Llawwynnauc ist tot!” “Oh soll uns doch der Himmel auf den Kopf fallen“, fluchte irgendwo im Getümmel die hünenhafte Brigit. „Würde der verdammte Ritter doch bloß endlich den Wagen besteigen.“
***
Diesmal hatte sie Gawain gar nicht auffordern müssen. Er hatte sich schon vom Schlachtfeld gestohlen und hinter den Wall der Schanze. Dort wartete auf ihn, bewacht von einigen Kriegerinnen, das eigentümliche Gefährt. Ein Streitwagen, den zwei Rosse ziehen. Von filigran geschmiedetem Eisen, mit einem geschwungenen Geländer, auf dem der Kämpfer die Hand ruhen lassen kann, um mit der anderen mit dem Speer den Tod zu bringen. Einachsig, wendig und schnell, und bis unter die Brust mit Metallplatten verkleidet, die Pfeile abfangen. Ein Werkstück, wie es heute keiner mehr zu schaffen fähig wäre. Vor allem aber ragten von den Rädern des Wagens in alle Richtungen Klingen, eckig, gezackt, mehr wie Gewächse scheinbar ohne Ordnung, als wie die sauber geschliffene gerade Schneide eines Schwertes. Auf diesem Gefährt kehrte der Ritter, wenn auch nicht ganz wohl in seiner Haut, zurück auf das Schlachtfeld.
***
Morgana mit dem schwarzen und Vivienne mit dem goldenen Haar schauen vom Wall auf die Schlacht herab.
Dort haben die stummen sächsischen Krieger den letzten der drei großen Bäume gefällt. Mit all ihrer Masse umringten sie den Riesen, kletterten hinauf durch Wurzeln und Zweige, gruben ihre Äxte ins Rindenfleisch, warfen Seile über abstehende Äste und taten alles, um das schwerfällige Geschöpf aus dem Gleichgewicht zu bringen. Irgendwann ist kein Halten mehr, der schwere Stamm fällt und erschlägt im niedergehen hunderte seiner Bezwinger.
Durch die erneut vorrückenden Sachsen schneidet nun Gawain und zieht Schneisen der Verwüstung. Hundertfache Verhängnis bringt der Sichelwagen, hundertfache Verhängnis der Speer seines Reiters. Der jedoch ist von seinen Feinden einfach nicht zutreffen. Zugleich gewachsen scheint er und geschrumpft, manchmal kaum noch ein Körper von dieser Welt. Fliegt eine Lanze heran, streckt sich im Stürzen eines Gefallenen noch die Pike nach ihm, verrenkt und verdreht der Ritter sich spielend in einer Weise, die Menschen nicht möglich sein sollte, und der Stich geht fehl. Es ist als führe jedes Glied Gawains ein Eigenleben und sei zugleich auf Schutz und Schaden bedacht.
„Endlich“, lächelt die Beraterin des Königs. „Er rührt an das, was ihm wirklich möglich wäre.” Die Steine, auf die ihre Hände sich stützen, sind noch immer warm von dem Feuer, das den Wall gefestigt hat. Draußen erkalten die Leichen. “Es ist gut“, gibt Morgana zurück. „Doch es wird nicht reichen. Sieh.“ Nach dem Sturz des letzten Baumriesen haben die frischen Truppen des Feindes sich den verbliebenen Briten zugewandt. Noch wirkt der Kampf ausgeglichen, doch allein die unwiderstehlich Schneisen, die Gawain auf seinem Sichelwagen schlägt, lassen die Briten noch hoffen. Auch eine kleine Gruppe um Bedivere, Lamorak und Cei, die weiter starken Widerstand leistet, hält das Vordringen der Sachsen auf. Doch wo immer der wolkengraue Reiter mit dem blitzenden Schwert auftaucht, brechen die notdürftigen Verteidigungslinien, Fußsoldaten fliehen und Ritter, die sich stellen, haben wenig entgegenzusetzen.
“Dann ist also alles verloren? „, fragt Vivienne auf dem Wall. “Könnten wir nur die Zeit zurückdrehen, und unsere Züge gegenüber Llylwych Llawwynnauc genauer bedenken. Griffe der alte Lugh in diese Schlacht ein, vielleicht sähen die Dinge anders aus…
„Gräme dich nicht. Das Schwert spielt seine Rolle, auch wenn es nicht die Rolle ist, die wir uns erdacht haben. Wir rücken die Steine, doch höhere Mächte haben das Spiel bestimmt.“
Morganas ausgestreckter Arm verweist auf einen Hügel in den Peripherien des Schlachtfeldes, Im Norden, wo sich ein einzelner Krieger auf einem Pferd abzeichnet, der jetzt absteigt, dem Pferd einen Klaps gibt und es fortschickt, als brauche er es nicht mehr. Nie wieder.
Der Krieger wartet. Und wartet.
***
Morgana hatte ihre Hunde losgejagt. Und wo immer auf dem Feld einer der stummen Krieger fiel, stießen Raben vom Himmel herab und zerpflückten die Gebeine. Bald war das Feld, auf dem die Verteidiger immer mehr in Bedrängnis gerieten, ein einziger Rabensturm, durch den der Sichelwagen pflügte, durch den die Meute tobte, aus dem niemand mehr, der gefallen war, aufstand. Doch all das bremste die Niederlage nur, hielt sie nicht auf.
Erbittert, doch auf verlorenem Posten, hatte auch Artus gefochten, gerade erst zurückgekehrt, Hoffnung bringend, mit einer Armee, deren Schlagkraft man längst konnte an wenigen Händen abzählen. Nun aber war der König nirgends mehr zu sehen. War er gefallen? Geflohen? Hatte er das Schlachtfeld verlassen?
Auf dem Hügel im Norden stand er, ein einsamer Krieger, der etwas erwartet. Gleichmütig auf Exkalibur gestützt, ein Schemen im Düster. Denn der wolkenverhangenen Himmel hatte sich weiter verfinstert. Wie Schwämme hingen die schwarzen Schwaden vom Firmament, der kühle Ostwind hatte sich zum Sturm aufgebläht, und nun stürzten die ersten Tropfen auf das aufgewühlte Erdreich zwischen Hafren und Wye. Wenn er von seinen Kriegern auch schmerzlich vermisst wurde – der, der ihn hatte erkennen sollen, hatte den König erkannt. Ohne Eile steuerte der graue Ritter, der das leuchtende Schwert Lancelots schwang, Mordred, auf den Hügel zu. Und vor ihm teilte sich die kämpfende Menge, ob Freund, ob Feind. Bald war er angelangt. Stieg hinauf. Blieb, ein zweiter Schemen, in gehörigem Abstand zum König stehen. Der Graue verbeugte sich. Artus erwiderte die Verbeugung. Beide griffen die Schilde fester. Erhoben die Schwerter. Mit den Blicken dem Grauen folgend, hatten auch unten die Kämpfenden mittlerweile bemerkt, dass sich hier bedeutendes anbahnte. Für einen Moment war alle Kampfeshandlung auf dem weiten Feld erlahmt, sahen alle hinauf und herüber, zu den beiden Heerführern. Dann setzte der Graue den ersten Schlag. Arthur parierte. Wie zwei Blitze kreuzten die Klingen sich.
So brach der dreifache Sturm los. Denn im selben Augenblick öffneten die Schleusen des Himmels sich und schütten Regen, wie einen Vorhang, über das Feld. Und noch stärker wehten die Winde, noch dichter ballten die schwarzen Wolken sich und nicht nur die Schwerter blitzen, ein Blitz nach dem anderen zuckte über den Himmel und rollender Donner folgte auf rollenden Donner. Unten aber waren die Hundertschaften bereits wieder ineinander verkeilt, und wie magisch von dem Geschehen angezogen, trieb es die Schlacht weiter nordwärts, zum Hügel hin, und endlich tobte der Krieg rund um die beiden Kämpfer, deren turmhohe Schatten die grellen Blitze wild über den Himmel zucken ließen. Viel sächsisches Blut tranken die brythonischen Schwerter noch und viel brythonisches Blut die der Sachsen. Doch instinktiv wussten alle: Was jene beiden Männer auf dem Hügel ausfochten, jene beiden Riesen in den schwarzen Wolken, umzuckt von weißem Licht, das galt. Und Arthur, der alte Arthur hielt sich wacker, parierte Schlag um Schlag und zeigte sich geschickt auf den Beinen. Manch plötzlicher Ausfall gelangt, manch unerwarteter Schritt zur Seite ließ den Gegner ins Leere laufen und mit dem mächtigen Schwert Exkalibur setzte der König einige Treffer auf die gepanzerte Brust und die nicht minder gepanzerten Gliedmaßen. Doch kein Stich, kein Schnitt, drang durch. Vielleicht wurde eine geringe Scharte geschlagen, vielleicht Haut geritzt, doch mit jedem Angriff, den der König wagte, wurde deutlicher, wie viel ausdauernder der Gegner sein würde. Bald ließ der Exkalibur frei schwingen, doch duckte sich oder sprang rasch einen Schritt zurück und traf den Angreifer dann mit dem Schild vor die Brust, mit dem gepanzerten Fuß auf der Hüfte. Endlich ging der graue Ritter in die Offensive, und Mordred, das Schwert, war wie einer der Blitze, die vom Himmel brachen. Nur mit äußerster Mühe brachte Arthur das eigene Schwert oder den Schild noch in des anderen Schwertes tödliche Bahn. Und wie der Gegner an Überlegenheit gewann, zeigten auch die sächsischen Truppen auf dem Feld ihre. Schon fast vollständig vom Feind umschlossen sah sich auf dem Hügel der König, Arthur. Die Parade des Grauen gegen einen schon verzweifelten Schlag des Königs, in den dieser alle Gewalt seines Arms und das Vorschießen des Körpers gelegt hatte, erfuhren die Krieger wie ein Gemälde aus Schatten und Licht auf die Leinwand der drohenden Wolken geworfen. Dann zuckte das Schwert, das einst Lanzelot gehört hatte, einmal jäh vorwärts, so plötzlich, man bemerkte die Bewegung kaum. Und der König strauchelte, suchte Halt im nassen Gras, rutschte, fiel. Erst auf die Knie, dann, da auch die Arme die Kraft verließ, flach auf den Bauch. Regen prasselte auf den Panzer. Ein weiterer Blitz erhellte die Szenerie, wie der Gegner sich noch einmal vor dem gefallenen König verbeugte, und zurückkehrte in die Reihen seiner Streiter. Und dann zogen die Sachsen ab, ohne noch einen weiteren Finger zu rühren. Das Geschick Logres, das Geschick Cymrus, das Geschick der Brythonen war entschieden. Geduldig harrten die Angreifer aus in ihren Stellungen, und ließen das unterlegene Heer die Toten begraben.
***
Eine kleine Gruppe Überlebender hatte sich zu beiden Ufern des Wye versammelt. Gawain sah Bedivere, auch Bors, manch anderes bekanntes Gesicht. Und manches, das er womöglich gekannt, das aber von Wunden so entstellt, dass der Ritter kaum zu sagen vermochte, wer da vor ihm stand. So viele waren gefallen, Cei in den Händen der Sachsen, und die verbliebenen Truppen hatten sich längst zerstreut, waren selbst in Gefangenschaft geraten oder geflohen in die westcymrischen Dörfer, wo sie, spätestens wenn die sächsischen Banner über Camelot wehten, bald auch würden müssen ihre neuen Herrn anerkennen.
All das Leid, dachte Gawain, die traurig gesenkten Köpfe der Versammelten auf sich wirken lassend, all das Entsagen, hierfür? Und dachte: Hatte das Volk bei Londinium nicht zuletzt schon wieder ein normales Leben gelebt? Und in den Dörfern des östlichen Logres? War der Krieg letztlich nicht stets nur dort gewesen, wo wir gewesen?
Der geschlagene Ritter schüttelte den Gedanken ab. Gewiss, für die einfachen Menschen fand sich immer ein Leben. Doch was blieb ihm, und den anderen letzten Rittern der Runde?
Am Ostufer des Wye dümpelte ein Nachen, vertäut an einer Lanze im Uferschlamm. Weißes Holz, weißes Segel. Darin saß Morgana, in ihrem Schoß den Kopf des Königs gebettet, der Leib verhüllten in einer weißen Wolldecke. Die Heidinnen hatten den Gefallenen gesalbt und unter Gesang zum Fluss geleitet. Mit einer knappen Verbeugung hatte Talesien sich von Morgana verabschiedet. Vivienne war da schon spurlos verschwunden.
Morgana strich nun dem König das weiße Haar aus dem Gesicht, schlug die weiße Decke noch einmal um dessen sterbliche Hülle. Dann schaute sie auf, und erkannte Gawain, der unwillkürlich immer näher an die Szene herangetreten war.
“Worauf wartet ihr, Ritter?“, sprach sie ihn an. “Euer Platz ist an der Seite des Königs.”
Gawain antwortete nicht, doch ohne weiter nachzudenken kletterte er in den Nachen. Wie Morgana den Kopf Arthurs, hielt Gawain nun des Königs Füße. So saßen die drei und warteten, bis plötzlich ein warmer Wind sich erhob und der Nachen ganz sanft sich in Bewegung setzte. Gawain hatte gar nicht mitbekommen, dass das Tau gelöst worden war. Schleichend entfernte das Schiff, weich von Wellen gewiegt, sich vom Ufer. Goldene Morgensonne brach aus Wolken hervor. Möwen stiegen zum Himmel, schreiend. Und die am Ufer Verbliebenen weinten.
***
Ein Nachen treibt den Wye herab, gelenkt allein von der Vorsehung. Die keltische See ist sein Ziel und dann, beflügelt von günstigen Winden, lässt er bald Iwwerdon hinter sich, das grünende Eíre, und weit, weit hinaus nach dem Westen strebt er, immer dem Sonnenlauf folgend. Bis leuchtender Nebel sich über die Wasser legt, und ebensolcher Nebel über den Himmel. Und durch dieses Nebelmeer treibt der Nachen fort, und hin nach den gläsernen Landen, die manche Avalon nennen. Vor dieser Herrlichkeit aber versagen nicht bloß alle Worte. Auch der Blick Sterblicher ist nicht fähig, die zerbrechliche Schönheit der gläsernen Inseln zu schauen, ohne dass beide, Blick und Inseln, unheilbaren Schaden nähmen. Und so verlieren wir das Schiff, darin Morgana noch immer den Kopf des Königs hält, der treue Gawain seine Füße, bald aus den Augen.
Wir wenden uns ab und lassen sie fahren, was immer mit ihnen weiter geschieht.